Wie sich die Marginalisierung der schwarzen Frau in Amerika anfühlt, musste Megan Jovon Ruth Pete im Juli erleben, als ihr der Rapper Tory Lanez nach einer Party in den Hollywood Hills in den Fuß schoss. Im Auto, bei einem Streit, an dem sie noch nicht einmal beteiligt war. Um die Sache in einer gutbürgerlichen weißen Nachbarschaft nicht eskalieren zu lassen, log Megan die Polizei an, sie hätte sich geschnitten. Und was war der Dank? Lanez, inzwischen angeklagt, leugnet seine Schuld bis heute – und Megan wurde im Internet von seinen Fans als Lügnerin abgestempelt, als sie schließlich öffentlich machte, dass sie tatsächlich angeschossen worden war. Bei einem virtuellen Konzert, das die 25-Jährige, bekannt als Rapperin Megan Thee Stallion, Ende August gab, konnte man noch erkennen, dass sie vorsichtig auftreten musste.
Damit ist es nun vorbei. Megan Thee Stallion ist die beste und relevanteste Rapkünstlerin, die das Genre gerade zu bieten hat, das deutete sich in den vergangenen Jahren bereits an mit ihren Mixtapes und EPs, jetzt ist ihr Debütalbum »Good News« erschienen.
Es ist der triumphale Abschluss eines Jahres, in dem der Rapperin aus Houston der Schulterschluss mit der ebenfalls aus Texas stammenden R&B-Queen Beyoncé gelang (im Remix der Hit-Single »Savage«), in dem sie es aufs Cover des »Time«-Magazins und in die Liste der »100 Most Influential People« schaffte – und schließlich zusammen mit Kollegin Cardi B und dem pornösen Track »WAP« für einen neuen Standard im weiblich-sexpositiven Hip-Hop-Kanon sorgte. Und dann schießt dir ein selbstbesoffener Macker in den Fuß. Symbolträchtiger geht es kaum.
Entsprechend bekommt Tory Lanez gleich im ersten Stück von »Good News« sein Fett weg: »And if it weren't for me, same week, you would have been indicted (Should've let them lock your ass up)«, ätzt sie in »Shots Fired«, eine Barrage der Verachtung im eleganten Old-School-Flow, der zum Markenzeichen von Megan Thee Stallion geworden ist. Auch Breonna Taylor, die in Kentucky von Polizisten erschossene Medizinfachangestellte, wird in diesem Eröffnungsstatement erwähnt: Megan Thee Stallion liegt seit Monaten im öffentlichen Clinch mit dem Generalstaatsanwalt des US-Bundesstaats, sie wirft ihm vor, die beteiligten Beamten zu schützen.
Längst hat sich die Rapperin auch abseits ihrer Musik zur Sprecherin herabgewürdigter schwarzer Frauen gemacht. In einem klugen Meinungsstück für die »New York Times« führt sie ein Plädoyer, ihren Körper so sexy präsentieren zu dürfen, wie es ihr passt, und stellt sich in die Tradition des verstorbenen US-Politikers und Bürgerrechtlers John Lewis: Jeder, der »good trouble, necessary trouble« mache, laufe Gefahr, von denen attackiert zu werden, die sich komfortabel im Status quo eingerichtet haben, schrieb sie: »But you know what? I'm not afraid of criticism.«
Politischer als in »Shots Fired« wird es auf »Good News« allerdings nicht, einerseits. Andererseits ist natürlich auch die ständige Neuverhandlung der Kampfzone zwischen den Geschlechtern ein politischer Akt. Megan Thee Stallion inszeniert sich in dieser Arena als »Bad bitch«, als obercoole Checkerin, die Männer ermutigt, vor selbstbewussten Frauen nicht einzuknicken, sondern sie zu feiern: »Get it for a bad bitch, spend it for a bad bitch/ If you got some money, nigga, trick on a bad bitch«, ist einer ihrer Killer-Refrains, die zum sofortigen Mitshouten animieren.
Diese durchgängig perfekten Pop-Hooks helfen auch über eine gewisse Eintönigkeit des Albums hinweg. Megan Thee Stallion hat viel zu sagen, entsprechend unspektakulär bis sparsam effizient sind die Beats: Kick, Snare, Bass, Zischelzischelzischel-Percussion, Soul- oder Classic-Rap-Sample, fertig ist der zwischen Neunzigerjahre-Schule und modernem Trap dahinratternde Track. Erst im siebten Stück, wenn R&B-Muse SZA in »Freaky Girls« mitsingt, kommt etwas Abwechslung ins bis dahin atemlose, aber auch atemberaubende Stakkato. Die anderen Gäste, angesagte Rapstars wie Lil Durk, DaBaby, 2Chainz und Big Sean, sind kaum mehr als bedröhnt wirkende Stichwortgeber.
Einziger Ausfall des Albums ist das Sperma- und Schwanz-Patois von Popcaan im klebrig-karibischen Porno-Soundtrack »Intercourse«. Aber das ist verzeihbar, solange es ebenso saftige, aber gewitztere und körperpositive Banger wie »Body« gibt (»Body-ody-ody-ody-ody-ody-ody-ody, Body crazy, curvy, wavy, big titties, lil' waist«) oder die schönste Anti-Ballade, die es seit Langem zu hören gab: »Blah, blah, blah, la-la-la/ If you wanna leave, then bye, bye, bye/ I'm a big girl, so I won't cry/ Don't sing me a lullaby-by-by«, flötet die Rapperin, die auch eine passable Sängerin ist, in »Don't Rock Me To Sleep«. Sie möchte halt lieber in den Schlaf gebumst werden, und zwar nach ihren Regeln. Fair enough.
Die gute Nachricht ist: Wie schon bei Megans furchtlosen Vorgängerinnen, Jill Scott, Lil Kim oder Missy Elliott, die »sassy, moody, nasty« über ihre Pussy und hemmungslose Hornyness gerappt haben, sind die Adressaten dieser Empowerment-Hymnen zwar vorrangig weiblich, aber auch als Mann darf – und sollte – man sich ihrem bezwingenden Charme gern hingeben. (8.5)
Kurz abgehört:
AnnenMayKantereit – »12«
Sagen wir's mal frei nach Guido Maria Kretschmer: Manche Klamotten tun was für dich – und manche offenbaren Problemzonen: Ihre neuen Anzüge als Corona-Chronisten sind den Kölner Poesiealbumrockern AnnenMayKantereit ein paar Nummern zu groß, da kann Henning May mit noch so hohler Stimme »Gegenwartsbewältigung« ins Mikro hauchen: 12 Skizzen, die besser im Shutdown geblieben wären. (1.2)
Tayla Parx – »Coping Mechanisms«
Tayla Parx schreibt seit Jahren Hits für Ariana Grande, Khalid oder Panic! At The Disco – und versuchte letztes Jahr, auf ihrem Debüt so zu klingen wie die Popstars. Das war eher mau. Jetzt aber besinnt sich die US-Künstlerin mit einem lässig-bissigen Break-up-Album auf ihre originären Vorlieben und behielt die besten Songs für sich: viel Funk, Soul und House im zeitgemäßen Charts-Sound. (7.8)
Gentleman – »Blaue Stunde«
Tja, lass dich auf den Deal mit dem Babylon der TV-Unterhaltung (RTL/Vox) ein – schon musst du alles tun, damit die Schlager- und Sternchenbande bei »Sing meinen Song« deine Tunes ohne gefährliche Patois-Untiefen und Sprachbarrieren nachträllern können: Gentleman, Deutschlands Riddim-King aus Köln, singt seinen Reggae-Pop jetzt auf Deutsch. Eher irritierend als irie. (5.0)
Cabaret Voltaire – »Shadow Of Fear«
Was man heute unter Industrial, EBM und letztlich Techno wegordnet, bekam von der britischen Post-Punk-Band Cabaret Voltaire um 1980 herum entscheidende elektronische Impulse. Das erste Album seit 26 Jahren ist eigentlich ein Solowerk von Richard H. Kirk: paranoide Vocal-Fetzen, dystopisches Rauschen, Klötern und Zischen, Schüttelfrost auslösende Angst-Trance. Topaktuell also. (8.0)
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